85live: Der große italienische Torhüter Gianluigi Buffon
stand kürzlich für seine Gli Azzurri zum letzten Mal im Tor. Buffon ist 39
Jahre alt – genauso alt wie Du bist. Matthias, warum hast Du bereits 2009 im
zarten Alter von 31 Jahren mit dem Fußball aufgehört?
Matthias Heidrich: Ich hätte früher auch gedacht, dass ich
so lange spiele, wie mich die Füße tragen. Aber der „frühe“ Zeitpunkt meiner
Abdankung (-: hatte andere Gründe. Ich war beruflich immer mehr eingespannt,
Spät- und Wochenend-Dienste, und privat kündigte sich Nachwuchs an. Mir war
klar, dass es mit ambitionierten Amateurfußball, der doch viel Zeit
beansprucht, nicht mehr geht, ohne ständig einen Spagat machen zu müssen. Offen
gestanden hatte ich zu diesem Zeitpunkt nach vielen Jahren, in denen Fußball
die Hauptrolle für mich gespielt hatte, auch etwas die Lust am Kicken verloren.
Die Prioritäten hatten sich einfach verschoben: Es war an der Zeit, dass meine
Frau, mit der ich zusammen bin seit ich 17 Jahre alt bin und die sich jahrelang
nach meinem Fußball-Zeitplan gerichtet hat, und die werdende Familie den Takt
vorgeben. Ein bisschen Wehmut ist aber ab und zu dabei, wenn ich an einem
Fußballplatz vorbeigehe…
85live: Trotzdem hast Du auch eine erlebnisreiche Karriere
hinter Dir. Du bist vor allem zwischen drei Vereinen hin- und hergesprungen?
Was waren Deine Stationen, als Spieler?
Matthias Heidrich: Nach den Jugendstationen TSV Glinde und
VfL Lohbrügge durfte ich meine ersten Schritte im Herrenbereich bei den
„Elstern“ machen. Mir war als unbedarfter 18-Jähriger nicht wirklich klar, was
das für eine große Nummer im Hamburger Amateurfußball war. Das wurde mir erst
im Laufe der ersten Saison klar. In der damaligen Verbandsliga spielten wir um
den Oberliga-Aufstieg, mit Vorwärts Wacker als Hauptkonkurrenten. In Billstedt
und auch an den Sander Tannen waren jeweils über 1.000 Zuschauer, das war schon
geil. Meister wurden wir leider nicht, schafften aber über den Umweg
Aufstiegsspiele gegen Felde den Aufstieg. Im Hinspiel in Bergedorf traf ich zum
1:1 und lief jubelnd zu meinen Kumpels auf der Tribüne. Zu der Zeit hatte ich
gerade mein Abitur gemacht. Meine Freunde waren direkt vom Abi-Zelten gekommen,
das ich, ganz verantwortungsvoll früh und nüchtern verlassen hatte. Es hat sich
gelohnt…
Um den nächsten Schritt zu machen, zog es mich nach dem Oberligaabstieg
der „Elstern“ zum SC Concordia. Dort hatten wir wirklich eine Super-Truppe mit
Spielern wie Piet Wiehle, Helge Mau oder auch den jungen Norman Lund. Es gab
aber finanzielle Probleme, so dass sich fast alle Spieler nach einem Jahr
verabschiedeten. Als Rainer Wysotzki, damals Manager und zuvor mein erster
Trainer bei 85, fragte, ob ich mir vorstellen könnte, zurück zu den „Elstern“
zu kommen, hatte ich mich im Prinzip schon entschieden. Dass es dann zwischen
Bergedorf und dem Meiendorfer SV noch zweimal hin und her ging, ist schon
ungewöhnlich, hatte jeweils aber seine Gründe. Nicht missen möchte ich auch die
abschließenden vier Jahre beim FC Voran Ohe. Das war eine klasse Zeit, mit
tollen Erfolgen, auch so manchen Nackenschlägen und vielen netten Menschen, die
ich kennenlernen durfte.
85live: Kannst Du Dich noch an Dein erstes Spiel im Elstern-
Trikot erinnern?
Matthias Heidrich: Allerdings. Das war ein Testspiel in der
Sommervorbereitung in Havighorst auf einem staubtrockenen, harten Grand mit
1970er-Jahren Gedächtnis-Baumwolltrikots, die schon beim Auflaufen klitschnass
waren. Dass Kritik an den Klamotten bei Zeugwart, Original und Club-Ikone Hein
Häring, Gott hab ihn selig, gar nicht clever ist, merkte ich schnell. Ich hab
die Dinger sogar richtig lieben gelernt und meins nach dem Sieg in Felde und
dem Aufstieg in die Oberliga auch behalten… Die Frage zielte vermutlich eher
auf das erste Punktspiel ab, doch da bin ich mir nicht mehr ganz sicher, wo das
war. Dass ich gleich in der ersten Saison mehr oder weniger Stammspieler war,
hatte auch mit dem tragischen Foul zu tun. Henning Schlottmann, als Stürmer
neben „Knipser“ Jörg Witzke gesetzt, brach sich im Derby gegen den VfL
Lohbrügge nach einem üblen Tritt von Devrim Tanriver Schien- und Wadenbein und
fiel lange aus. So bitter es war, das war meine Chance und ich hab sie glaube
ich ganz gut genutzt.
85live: Deine Trainer waren damals Rüdiger Schwarz und Manni
Nitschke, die manchmal an Dir verzweifelten... Stichwort „Ewiges Talent“. Was
mögen die beiden damit gemeint haben?
Matthias Heidrich: Ist mir völlig unverständlich… (-: Nun
ja, vielleicht, dass ich als extrem geselliger Typ auch für die Freuden der
dritten Halbzeit sehr empfänglich war, um es mal vornehm auszudrücken. Unter
dem Strich haben sie Recht: Ich habe aus meinen Möglichkeiten, die glaube ich
ganz ordentlich waren, zu wenig gemacht. Extra-Schichten wären für mich wichtig
gewesen, da ich nie eine Laufziege war. Nun ja, jetzt wo ich alte 39 Jahre bin,
weiß ich das. Damals mit bummelig 20 habe ich darüber nicht wirklich
nachgedacht. Mein Fehler…
85live: Du kannst Dich jetzt „rächen“. Wie war damals das
Training und was zeichnete Manni und Rüdiger aus?
Matthias Heidrich: Offen gestanden, war das Training unter
Rüdiger ziemlich eintönig. In der Rückschau, bei den heutigen
Trainingsgewohnheiten, ist das natürlich ziemlich leicht zu sagen und
vielleicht auch etwas unfair. Aber der Erfolg gab ihm Recht. Die Grundlage war
da eher immer die Mannschaftszusammenstellung vor der Saison. Rüdiger holte
immer wieder richtig gute Kicker nach Bergedorf, die in den Ligen, in denen wir
gespielt haben, vielleicht sogar etwas unterfordert waren. Mir fallen da Namen
wie Habimani Shabani, Markus Burmester oder nicht zuletzt Andreas Kunze ein.
Andreas war damals schon über 30, aber immer noch der Schnellste und Beste,
obwohl Manni ob dessen bescheidener Trainingsteilnahme-Statistik einmal
bemerkte: „Der kriegt schon ne Grippe, wenn im Fernsehen ein Fenster auf ist“. Das
beschreibt auch ganz gut die Stärke Mannis und Rüdigers: das Menschliche.
85live: Deine drei herausragenden Spiele für den ASV
Bergedorf 85?
Matthias Heidrich: Puh, schwierig. Die Aufstiegsspiele im
ersten Jahr gegen Felde und die Duelle mit Wacker hatte ich schon erwähnt. Nie
vergessen werde ich auch die Oberliga-Aufstiegsspiele später unter Rüdiger
gegen Neumünster. Beim VfR hatten wir 0:1 verloren, wegen eines Fehlers von
mir. Im Rückspiel an den Sander Tannen wollte ich es unbedingt wieder gut
machen, brachte uns mit zwei Treffern zur 2:0-Führung auf Aufstiegskurs. Dann
verschätzte sich unser Torwart Oliver Grabolle bei einer Flanke, Kopfball, 1:2.
Wir waren komplett konsterniert, kassierten noch das 2:2 und Neumünster durfte
jubeln. Kein Highlight im positiven Sinne, aber Niederlagen, auch extrem
bittere, gehören eben dazu. Als letztes würde ich noch das DFB-Pokal-Spiel
gegen den VfL Wolfsburg nennen. Über 6.000 Fans an den Sander Tannen, wir
gingen durch ein Traumtor von Arne Klein, das zur Wahl zum „Tor des Monats“
stand, 1:0 in Führung. Dann machten die Bundesligaprofis ernst. Ich erinnere
mich noch, wie Martin Petrov nach einer Ecke für uns den Ball am VfL-Strafraum
bekam und gefühlte fünf Sekunden später zum 2:1 auf der anderen Seite traf.
Unserem schnellsten Mann, Mike Kudling, hatte er dabei aussehen lassen wie
einen Alte-Herren-Kicker. Ebenso wie Andrés D’Alessandro mich ein ums andere
Mal. Es war das erste Pflichtspiel des Argentiniers im Wolfsburger Trikot. Der
wollte natürlich mal zeigen, warum der Club Millionen für ihn ausgegeben hatte.
So schnell wie der mit dem Ball an mir vorbei war, konnte ich manchmal gar
nicht gucken. Am Ende hieß es 1:6 aus unserer Sicht und viele, die sich schon
weiter wähnten, ich eingeschlossen, wussten nun, wie hoch die Trauben im
Profifußball hängen.
85live: Dann ging es zu Cordi? Bernd Enge (?) hat Dich ins
Marienthal gelockt?
Matthias Heidrich: Nein, Bernd Enge war damals nicht mehr im
Boot, als ich zu Concordia ging. Der damalige Trainer Thomas Bornhöft rief mich
an. In der Hamburger Auswahl hatte ich zudem schon mit einigen Talenten des SCC
zusammen gekickt, die ihm wohl einen Tipp gegeben haben. Tragisch: Als ich
letztlich im Marienthal aufschlug, war unser Trainer Kurt Hesse. Thomas
Bornhöft kam in diesem Sommer bei einem Autounfall in Spanien ums Leben. Ich
kannte ihn nur kurz, aber es war zu merken, dass er ein netter Mensch gewesen
war. Alle, die schon länger bei Cordi mit ihm zusammen gearbeitet hatten,
hatten an der Tragödie schwer zu knabbern. Auch deshalb war es ein besonderes
Jahr bei Cordi.
Für mich persönlich war Concordia noch aus einem anderen
Grund wichtig. Manager war damals Michael Schickel, Sportchef der „Hamburger
Morgenpost“. Über ihn durfte ich ein Praktikum bei der „Mopo“ machen und ich
merkte schnell, dass das meine Zukunft ist.
85live: Lange hast Du auch für Meiendorf gespielt und da
einen Menschen kennengelernt, der heute die Geschicke des ASV Bergedorf 85 mit
verantwortet…
Matthias Heidrich: Richtig, wir reden über Jörg Franke.
Damals war er Manager beim MSV und ich erinnere mich gerne an die Zeit mit ihm
zurück. Er ist vom selben Schlag wie Rüdiger oder auch Manni: einfach ein
netter Mensch. Da habe ich auch zufällig eine Anekdote parat (-: Ich als
Spieler und er der Manager haben im Sommer-Trainingslager in Schneverdingen mal
ein Zimmer geteilt, weil ich später anreiste und eben „nur“ noch ein Plätzchen
bei Jörg frei war. Das war an sich auch kein Problem, aber ich hätte nach dem
Mannschaftsabend eher einen anderen Spieler gebraucht, der auch hätte aufstehen
müssen, um pünktlich zum Training zu kommen. Jörg scherte das nach einer kurzen
Nacht im Disco-Keller des Hotels, das nannte man früher Teambuilding (-:, zu
Recht wenig. So schliefen wir beide den Schlaf der Gerechten und ich stolperte
doch mit einiger Verspätung zur morgendlichen Einheit auf den Platz. Gott sei
Dank war Trainer Frank Stolina am Abend zuvor auch dabei gewesen und schaute
mal schnell weg, als ich kam. Insofern kann ich die heutigen „Elstern“ nur vor
dem Zimmerpartner Jörg warnen, aber als Chefcoach darf er bestimmt alleine
nächtigen…
85live: Schon zu Zeiten als Spieler hast Du für die
Bergedorfer Zeitung „gejobbt“. Du bist dem Metier treu geblieben. Was machst Du
jetzt beruflich?
Matthias Heidrich: Ich bin dem Journalismus tatsächlich treu
geblieben. Anfang 2007 ging ich von der „bz“ zum NDR. Dort bin ich noch heute
und darf auf NDR.de über Fußball, Handball oder auch Tennis schreiben. Beim
Thema Leichtathletik oder Olympia sind meine Texte auch auf sportschau.de zu
finden. In diesem Zuge durfte ich von den Olympischen Spielen in London 2012
und auch in Rio 2016 von vor Ort berichten. Das waren tolle Erlebnisse, an die
ich bei meinen Anfängen bei der „Bergedorfer Zeitung“ nicht im Traum gedacht
hätte. Trotzdem steht mein Name auch heute noch ab und zu in der „bz“. Für die
Rubrik „Volkers Welt“, die immer sonnabends erscheint, schreibe ich
gelegentlich. Dann aber selten über Sport.
85live: Komischerweise sind einige Elstern-Spieler
Journalisten geworden. Hast Du noch Kontakt zu ehemaligen Elstern, vielleicht
sogar zu Deinem Berufskollegen Robert Matiebel (u.a Bild Berlin)?
Matthias Heidrich: Mit Robert, der wie ich übrigens auch aus
Glinde kommt, habe ich noch eine Saison bei den „Elstern“ zusammengespielt.
Beruflich sind wir uns noch nicht wirklich über den Weg gelaufen. Kontakt habe
ich ab und zu noch zu Gorden Wilkens, der das Tor der „Elstern“ gehütet hat.
Der hat aber nichts mit Journalismus zu tun… (-:
85live: Wenn Du einen Kommentar für den NDR zum Videobeweis
schreiben müsstest, würde der positiv oder negativ ausfallen?
Matthias Heidrich: Gute Idee, schlechte Umsetzung würde ich
aktuell drüberschreiben. Bei den klaren Fehlentscheidungen sollte die Technik
helfen, den Fußball „gerechter“ zu machen. Man darf ja auch nicht vergessen,
dass an der Entscheidung Tor oder nicht, mittlerweile nicht selten Millionen
und manchmal sogar Arbeitsplätze hängen. Das kann man an sich verurteilen, ist
aber die Realität. Dass sich der DFB mit transparenter Kommunikation schwer
tut, könnte das Ganze aber wieder zu Fall bringen. Da sind Herr Grindel und Co.
gefordert, nicht zuletzt bei der Baustelle Schiedsrichterwesen. Aktuell könnte
man den Eindruck gewinnen, viele wollen weiter den Schiedsrichter auf dem Platz
zur ärmsten Sau machen, weil alle sehen, dass eine Fehlentscheidung vorlag, nur
eben er nicht ohne Videobeweis. Das kann es auch nicht sein. Die Abläufe müssen
natürlich verbessert werden, aber was auch viele vergessen: Das ist eine
Testphase. Unter dem Strich neigt der Mensch halt zum Motzen.
85live: Was viele gar nicht wissen, Deine Magisterarbeit
beschäftigte sich mit dem ASV Bergedorf 85. Wie kam es dazu und wurde sie ganz
gut bewertet?
Matthias Heidrich: Lange wusste ich nicht, worüber ich
schreiben sollte. Ich bin dann eher zufällig, bei einem Besuch der 85-Geschäftsstelle,
darauf gekommen. Da fielen mir unzählige Aktenordner mit alten
Zeitungsausschnitten über die „Elstern“ ins Auge. Ein kleines 85-Archiv
sozusagen. Wenn man dann noch weiß, dass dieser Club in den 1950er und -60er
Jahren eine noch viel größere Bedeutung hatte, war der Weg zur Magisterarbeit mit
dem Titel „Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballsports am Beispiel des
ASV Bergedorf 85“ nicht mehr weit. Ich weiß es nicht mehr genau, aber sie wurde
glaube ich mit 1,8 bewertet, was ungefähr einer 2 entspricht. Wenn man bedenkt,
dass ich sie parallel zur EM 2008 geschrieben habe und zum ersten Spiel
natürlich vor dem Fernseher saß, ganz okay… (-:
85live: Wenn wir uns richtig erinnern, war Deine
Rückennummer die 13 (?). So wollen wir mit der 13. Frage das Interview
schließen: Verfolgst Du noch etwas den Hamburger Fußball speziell auch den ASV
Bergedorf 85? Hast Du einen Ratschlag für die Zukunft und kannst Du Deinen
Spitznamen Heidi noch hören?
Matthias Heidrich: Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn
mich jemand „Heidi“ nennt. Passiert heute aber ganz selten. Das war schon so
ein Fußballding. Sobald ich aber einen alten Weggefährten treffe und er mich so
nennt, kommen immer schöne Erinnerungen hoch. Zu Meiendorfer Zeiten hatten wir
uns sogar mal Jacken mit den Spitznamen vorne drauf machen lassen und sind so
losmarschiert. Wenn bei dir dann ein Frauenname vorne drauf steht, ist das
erste Gesprächsthema schnell gefunden… (-:
Ich schaue schon ab und an, wie meine alten Clubs so
spielen. Auf den Platz schaffe ich es aber eigentlich gar nicht. Mittlerweile
kenne ich als 39-Jähriger (!) auch kaum noch jemanden. In Bergedorf wären das
wohl eher die Menschen drum herum, wie eben Jörg oder Manni. Ich hoffe
natürlich, dass die „Elstern“ den Aufstieg in dieser Saison schaffen.
85live: Vielen Dank für das Interview !!!