Samstag, 19. September 2015

Yasar Civelik im Interview: Die Elstern und die Arbeit bei MIA e.V. , einem Betreuungsverein hauptsächlich für Menschen mit Migrationshintergund.



Gestern steuerte er wieder einen Treffer zum 8:1 Erfog seiner Senioren bei, morgen wird er wahrscheinlich im Stadion an den Sander Tannen sein, um die 1. Herren beim Spiel gegen den Willinghusener SC anzufeuern und am Montag engagiert er sich wieder beruflich für Migranten. „85live- die Elsternpost“ sprach mit Yasar Civelik:



Elsternpost: Hallo Yasar, Du spielst beim ASV Bergedorf 85 im Seniorenteam und bist Fan der Liga-Mannschaft der Elstern. Seit wann bist Du Fan von Bergedorf 85? Wie und warum bist Du zu den Elstern gekommen?

Yasar Civelik: Im August 2012 bin ich mit meiner Familie aus beruflichen Gründen von Hannover nach Bergedorf gezogen und ehe ich mich versah war ich im September schon in den Verein eingetreten, damals noch beim FC Bergedorf 85, und spielte fortan bei den Senioren.
Ich denke das Fandasein hat sich hieraus sofort entwickelt, die Leidenschaft zum Fußball überträgt sich sofort auch den Verein. Darüber hinaus bin ich schon unbewusst im eigenen Haus auf zwei Elstern gestoßen. Unter dem Dach wohnen nämlich, sozusagen auf dem Dachboden, zwei absolute Elsternfans. Zum einen Andy L. und zum anderen Chester (Hund von Ingo A.) die beide glühende Elsteranhänger sind. Wie der Zufall es wollte, spielte ich dann mit Ingo in einer Mannschaft (jetzt ist aber auch mal Schluss mit dem Namen Jonglieren). Somit war ich durch Andy, Ingo und Chester direkt an der Ur- und Wissensquelle des ASV Bergedorf 85 gelandet. Danach gab es dann auch keine andere Möglichkeit als sich diesem tollen Verein anzuschließen, alles andere außer den Elstern wäre Blödsinn gewesen.


Elsternpost: Bei den Spielen von 85 stehst Du in der Kurve. Du gehörst dem „Anhängerclub des ASV Bergedorf 85“ an. Ihr macht richtig Stimmung bei den Spielen. Fast so wie in einem Profi-Stadion. Warum supportest Du/ Ihr einen Amateurclub, der in letzte Saison noch dazu in der untersten Spielklasse kickte?

Yasar Civelik: Die Erste Mannschaft ist immer das Aushängeschild des Vereins, für mich galt dann schon immer diese Mannschaft als Vereinsmitglied total zu unterstützen. Dabei spielt es keine Rolle ob die Mannschaft in der Kreisklasse oder Oberliga kickt. Amateurfußball ist faszinierend, die Stimmung emotional und ehrlich. Hier wird noch richtig Fußball gearbeitet und Spaß am Spiel vermittelt. Ich muss allerdings sagen, was ich bei den Elstern vorgefunden habe an aktiver Fankultur ist einfach einzigartig und nicht zu toppen. Da wird man gleich mit in den Sog gezogen und zack biste mit dabei und machst Stimmung. An guten Tagen können sich einige Bundesligisten noch was abschauen von unserer Truppe (insbesondere in der zweiten Halbzeit).

Elsternpost: Im Anhängerclub sind auch einige Mitstreiter des „Cafe´Flop – unser Haus e.V.“, ein selbstverwaltetes unkommerzielles Jugendzentrum in Bergedorf. Du selber bist Sozial-Pädagoge und engagierst Dich bei „MIA e.V. – Migranten in Aktion“. Bevor wir auf die Tätigkeit bei diesem gemeinnützigen Verein zu sprechen kommen, was ist Deine „Triebfeder“ für dieses soziale Engagement?

Yasar Civelik: Um das einmal ins rechte Licht zu rücken, bei meinen Freunden vom Cafe Flop (und auch bei den Anhängern die von dort kommen) bin ich Yasar und kein Sozialarbeiter. Dennoch finde ich das soziale Engagement von „Unser Haus e.V.“ großartig. Ich selbst beziehe meine Motivation für mein Engagement für die Sache aus meiner eigenen Historie, d.h. es ist sicherlich auf meinen persönlichen Lebensweg, mit seinen Höhen und Tiefen, zurückzuführen. Meine Migrationserfahrungen, die ich erleben durfte spielen dabei eine tragende Rolle. Ich bin ein sehr sozialer Mensch und helfe gern. Darüber hinaus setze ich mich mit Passion für die Gleichstellung und die Rechte von Menschen mit Handicaps ein.

Elsternpost: Was macht MIA, warum wurde dieser Verein gegründet? Was sind Deine Tätigkeiten dort?

Yasar Civelik: Meine Aufgaben in diesem Verein sind vielfältig und die Tätigkeiten weit gestreut.
MiA e.V. ist seit Anfang 2009 ein anerkannter Betreuungsverein in Hamburg, der sich primär auf die rechtliche Betreuung von Menschen mit Migrationshintergrund fokussiert. Hier bin ich Hauptamtlich beschäftigt, bin Gründungsmitglied des Vereins und Teil der dreiköpfigen Geschäftsführung. Meine hauptamtlichen Beschäftigungen liegen im Bereich der rechtlichen Betreuung und den sogenannten Querschnittsaufgaben von anerkannten Betreuungsvereinen, welche seitens der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz finanziell gefördert wird. MiA will und soll den bestehenden Bedarf an rechtlicher Betreuung und an den Querschnittsaufgaben von und mit Migranten in der Hansestadt Hamburg professionell und integrativ abdecken.
Ist jemand aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage, bestimmte Angelegenheiten zu besorgen, bestellt das Betreuungsgericht gemäß § 1896 BGB einen Betreuer. Dieser vertritt den Betreuten rechtlich im Rahmen des gerichtlich festgelegten Aufgabengebiets. So übernimmt er beispielsweise die behördlichen Angelegenheiten sowie die Vermögenssorge und Gesundheitssorge. Bundesweit sind für etwa 1,2 Mio. Menschen als rechtliche Betreuer bestellt; in Hamburg werden derzeit etwa 24.000 Menschen rechtlich betreut. Etwa die Hälfte von diesen Menschen werden von ehrenamtlichen Helfern betreut.
Zu den Querschnittsaufgaben gehört u.a. die planmäßige Bemühung um die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer (Migranten und Einheimische), sie in ihre Aufgaben einzuführen, fortzubilden und bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beraten und unterstützen. Außerdem informieren wir planmäßig über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen.

In Deutschland gibt es insgesamt 830 Betreuungsvereine und lediglich 2 Betreuungsvereine, die zielgruppenorientiert wie wir arbeiten. Ein spezielles Angebot für Migranten ist für uns unbedingt erforderlich gewesen und sollte auch zukünftig noch engagiert ausgebaut werden. Allein die Zahlen zeigen klar das Defizit auf. Einen Betreuungsverein mit Fokus auf Menschen mit Migrationshintergrund in den Hamburger Regeldienst zu implementieren - das war unser Weg. Der Hamburger Weg.

Puh, das war jetzt der aber anstrengend, ich hoffe ich habe da jetzt nicht einen zu weiten Bogen gespannt.

Elsternpost: 2014 wurde Eure Tätigkeit gewürdigt. Ihr habt einen Förderpreis gewonnen. Wie kam es dazu und wie wichtig ist es für Euch auch mal bundesweite Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen?

Yasar Civelik: Der Förderpreis des Betreuungsgerichtstages für Innovation und Netzwerkarbeit im Betreuungswesen 2014 wurde für unser Modellprojekt "Verbesserung der sozialen Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im System der rechtlichen Betreuung in Hamburg" verliehen. Der Förderpreis wurde im Andenken an Lothar Kreyssig verliehen. Als Vormundschaftsrichter in Brandenburg/Havel trat er dem Willkürregime des Nationalsozialismus entgegen und verhinderte den Mord an behinderten Menschen in seinem Gerichtsbezirk.
Die bundesweite Aufmerksamkeit und Anerkennung hat uns natürlich sehr gut getan und auch neue Türen eröffnet. So haben wir, z.B. vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Hamburg, bei welchen MiA e.V. Mitglied ist, die Anfrage für neue Projekte rund um die Flüchtlingshilfe erhalten und sind auch schon dabei hier konkrete Konzepte und Finanzierungspläne zu erstellen bzw. einzureichen.

Elsternpost: In der jetzigen Zeit ist das Thema „Flüchtlinge“ wieder prominent und leider immer noch manchmal negativ besetzt. Wie ist Deine persönliche Erfahrung, musst Du Dich oft rechtfertigen, warum Du Dich für Migranten einsetzt? Wie tretest Du „Stammtischparolen“ entgegen bzw. verstehst Du auch Ängste und Sorgen von Bürgern, die dicht an einem Flüchtlingsdorf wohnen?

Yasar Civelik: „Wat mutt, dat mutt“ sagen wir in Hamburg und genau so stehe zur aktuellen Situation in der Flüchtlingshilfe. Weltweit sind es knapp 60 Millionen Flüchtlinge und derzeit werden etwa 85% von armen bzw. ärmeren Ländern aufgenommen. Die Fluchtbewegungen und hohen Zahlen von Flüchtlingen stellen Deutschland und Europa vor sehr große Herausforderungen. Auch in Hamburg kommen derzeit täglich hunderte neuer Flüchtlinge an, welche versorgt und untergebracht werden müssen. Es ist unsere menschliche Pflicht, den Menschen, welche vor Krieg und Verfolgung fliehen, zu helfen. Und es erfreut mich sehr, dass derzeit eine sehr große Hilfsbereitschaft unter den Hamburgerinnen und Hamburgern zu beobachten ist.
Das Thema „Ängste und Sorgen von Bürgern“ haben wir beispielsweise durch die Aktivitäten in Dresden zur Genüge erlebt und diskutiert, ich halte da nicht viel von. Jakob Augstein vom Spiegel schrieb vor kurzem in einem Artikel „Doch kaum steigt die Zahl der Flüchtlinge, zeigt der hässliche Deutsche wieder seine ausländerfeindliche Fratze“. Leider haben wir auch solche Menschen in Deutschland, das verbuchen wir dann einmal unter der Meinungsfreiheit, die in Deutschland gilt.
Meine Sorge gilt vielmehr der lagerartigen Unterbringung der Menschen und den ausländerfeindlichen Gefahren von Innen und Außen. Massenunterkünfte sind menschenunwürdig und besonders für Frauen und Kinder eine unhaltbare Form der Unterbringung. Ob Bürger nun dicht an einer Flüchtlingsunterkunft oder z.B. an einer Massenunterkunft wo Obdachlose oder Drogenabhängige untergebracht werden wohnen, macht keinen Unterschied.

Elsternpost: Kommen wir zum Sport zurück. Fußball kann auch eine gute Integrationshilfe sein. Gibt es Aktivitäten vielleicht sogar schon beim ASV Bergedorf 85 in diese Richtung?

Yasar Civelik: Anfang des Jahres hatten wir bei einem Treffen mit Freunden vom Anhängerclub, Spieler und Jugendleiter vom ASV 85 über den FC Lampedusa gesprochen und überlegt, ob man nicht bei uns Aktionen oder sogar Projekte ins Leben rufen kann, um Geflüchteten die Möglichkeit der Teilhabe zu ermöglichen. Spaßeshalber sagte ich noch „Wenn sich Einheimische für so eine schöne Sache starkmachen bin ich als Migrant natürlich auch dabei“. Nicht viele werden es wissen, dass beim ASV 85 ein Runder Tisch ins Leben gerufen wurde. Hier sollte ein regelmäßiger Austausch u.v.m. nach unserem ASV 85 Motto „Tradition verbindet“ stattfinden. Leider ist das etwas eingeschlafen und seit längerer Zeit haben keine Treffen mehr stattgefunden. Hier wurde mal das Thema Flüchtlinge eingebracht, allerdings mit wenig Resonanz und offene Ohren. Wahrscheinlich sind wir beim ASV 85 noch nicht soweit.

Elsternpost: Du selber hast einige Male bei den Senioren gespielt und sogar ein Tor erzielt. Wie ist Deine Fußballsozialisation verlaufen?

Yasar Civelik: Leider stimmt das nicht so ganz! Letzte Saison habe ich bitteschön mindestens 2 Kopfballtore und auch einige mit dem Fuß geschoßen. Ich bin 1965 in Lübeck geboren. Da mein Vater Eisenbahner war und wir direkt am Sportplatz wohnten bin ich 1972 beim Eisenbahner SV Lübeck eingetreten. Damals spielte ich mit der Rückennummer 9 und der Kapitänsbinde im Sturm. Als B-Jugendspieler bin ich dann zum 1. FC Phönix in die Bezirksklasse gewechselt. Der 1. FC Phönix ist ein Lübecker Traditionsverein und wer kennt ihn nicht – Peter Nogly war der ganze Stolz von Phönix. Ich muss gestehen, dass ich hier mehr
Einsätze auf der Bank hatte als auf dem Spielfeld. Mit 18 bin ich an Diabetes erkrankt. Damals haben meine Ärzte geraten mit dem Leistungssport, Alkohol und Nikotin aufzuhören. Die Fußballschuhe hab ich dann zu Seite getan. Heute ist das anders. Diabetiker dürfen und sollen sogar Sport treiben. Zwecks Studiums bin ich 1998 nach Hannover gezogen. So kam es dann, dass ich mit 36 Jahren bei der 3. Herren von Hannover 96 mitkickte und ein Jahr später bin ich dann zu der Ü32 Mannschaft von SG Limmer gewechselt (Ach ist die Welt klein: Bei der Gastmannschaft von SG Limmer „Can Arkadas“ hat unser Paul Schäfer mitgekickt) und hab dort bis zum Umzug nach Hamburg gekickt.

Elsternpost: Die Elstern müssen sich nach dem Aufstieg in der Kreisliga zurechtfinden. Was erwartest Du von der neuen Saison?

Yasar Civelik: Was das Trainerteam rund um Jörg Franke auf die Beine gestellt haben hat Hand und Fuß. Was unterm Strich dann am Ende der Saison herauskommt müssen wir abwarten.

Elsternpost: Zum Schluss kommt die gute Fee zu Dir und fragt Dich nach Deinen drei wichtigsten Wünschen….

Yasar Civelik: Eine gesunde Familie, ein Fußball und mindestens 11 Freunde

Elsternpost: Vielen Dank für das Interview !!!

Fotos: Yasar Civelik (privat) und Werner Heitmann 



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