Mittwoch, 22. November 2017

Interview mit dem ehemaligen Elstern-Spieler Matthias Heidrich: „Mir war als unbedarfter 18-Jähriger nicht wirklich klar, was das für eine große Nummer im Hamburger Amateurfußball war“



 85live: Der große italienische Torhüter Gianluigi Buffon stand kürzlich für seine Gli Azzurri zum letzten Mal im Tor. Buffon ist 39 Jahre alt – genauso alt wie Du bist. Matthias, warum hast Du bereits 2009 im zarten Alter von 31 Jahren mit dem Fußball aufgehört?

Matthias Heidrich: Ich hätte früher auch gedacht, dass ich so lange spiele, wie mich die Füße tragen. Aber der „frühe“ Zeitpunkt meiner Abdankung (-: hatte andere Gründe. Ich war beruflich immer mehr eingespannt, Spät- und Wochenend-Dienste, und privat kündigte sich Nachwuchs an. Mir war klar, dass es mit ambitionierten Amateurfußball, der doch viel Zeit beansprucht, nicht mehr geht, ohne ständig einen Spagat machen zu müssen. Offen gestanden hatte ich zu diesem Zeitpunkt nach vielen Jahren, in denen Fußball die Hauptrolle für mich gespielt hatte, auch etwas die Lust am Kicken verloren. Die Prioritäten hatten sich einfach verschoben: Es war an der Zeit, dass meine Frau, mit der ich zusammen bin seit ich 17 Jahre alt bin und die sich jahrelang nach meinem Fußball-Zeitplan gerichtet hat, und die werdende Familie den Takt vorgeben. Ein bisschen Wehmut ist aber ab und zu dabei, wenn ich an einem Fußballplatz vorbeigehe…    

85live: Trotzdem hast Du auch eine erlebnisreiche Karriere hinter Dir. Du bist vor allem zwischen drei Vereinen hin- und hergesprungen? Was waren Deine Stationen, als Spieler?

Matthias Heidrich: Nach den Jugendstationen TSV Glinde und VfL Lohbrügge durfte ich meine ersten Schritte im Herrenbereich bei den „Elstern“ machen. Mir war als unbedarfter 18-Jähriger nicht wirklich klar, was das für eine große Nummer im Hamburger Amateurfußball war. Das wurde mir erst im Laufe der ersten Saison klar. In der damaligen Verbandsliga spielten wir um den Oberliga-Aufstieg, mit Vorwärts Wacker als Hauptkonkurrenten. In Billstedt und auch an den Sander Tannen waren jeweils über 1.000 Zuschauer, das war schon geil. Meister wurden wir leider nicht, schafften aber über den Umweg Aufstiegsspiele gegen Felde den Aufstieg. Im Hinspiel in Bergedorf traf ich zum 1:1 und lief jubelnd zu meinen Kumpels auf der Tribüne. Zu der Zeit hatte ich gerade mein Abitur gemacht. Meine Freunde waren direkt vom Abi-Zelten gekommen, das ich, ganz verantwortungsvoll früh und nüchtern verlassen hatte. Es hat sich gelohnt…
Um den nächsten Schritt zu machen, zog es mich nach dem Oberligaabstieg der „Elstern“ zum SC Concordia. Dort hatten wir wirklich eine Super-Truppe mit Spielern wie Piet Wiehle, Helge Mau oder auch den jungen Norman Lund. Es gab aber finanzielle Probleme, so dass sich fast alle Spieler nach einem Jahr verabschiedeten. Als Rainer Wysotzki, damals Manager und zuvor mein erster Trainer bei 85, fragte, ob ich mir vorstellen könnte, zurück zu den „Elstern“ zu kommen, hatte ich mich im Prinzip schon entschieden. Dass es dann zwischen Bergedorf und dem Meiendorfer SV noch zweimal hin und her ging, ist schon ungewöhnlich, hatte jeweils aber seine Gründe. Nicht missen möchte ich auch die abschließenden vier Jahre beim FC Voran Ohe. Das war eine klasse Zeit, mit tollen Erfolgen, auch so manchen Nackenschlägen und vielen netten Menschen, die ich kennenlernen durfte.  

85live: Kannst Du Dich noch an Dein erstes Spiel im Elstern- Trikot erinnern?

Matthias Heidrich: Allerdings. Das war ein Testspiel in der Sommervorbereitung in Havighorst auf einem staubtrockenen, harten Grand mit 1970er-Jahren Gedächtnis-Baumwolltrikots, die schon beim Auflaufen klitschnass waren. Dass Kritik an den Klamotten bei Zeugwart, Original und Club-Ikone Hein Häring, Gott hab ihn selig, gar nicht clever ist, merkte ich schnell. Ich hab die Dinger sogar richtig lieben gelernt und meins nach dem Sieg in Felde und dem Aufstieg in die Oberliga auch behalten… Die Frage zielte vermutlich eher auf das erste Punktspiel ab, doch da bin ich mir nicht mehr ganz sicher, wo das war. Dass ich gleich in der ersten Saison mehr oder weniger Stammspieler war, hatte auch mit dem tragischen Foul zu tun. Henning Schlottmann, als Stürmer neben „Knipser“ Jörg Witzke gesetzt, brach sich im Derby gegen den VfL Lohbrügge nach einem üblen Tritt von Devrim Tanriver Schien- und Wadenbein und fiel lange aus. So bitter es war, das war meine Chance und ich hab sie glaube ich ganz gut genutzt.

85live: Deine Trainer waren damals Rüdiger Schwarz und Manni Nitschke, die manchmal an Dir verzweifelten... Stichwort „Ewiges Talent“. Was mögen die beiden damit gemeint haben?

Matthias Heidrich: Ist mir völlig unverständlich… (-: Nun ja, vielleicht, dass ich als extrem geselliger Typ auch für die Freuden der dritten Halbzeit sehr empfänglich war, um es mal vornehm auszudrücken. Unter dem Strich haben sie Recht: Ich habe aus meinen Möglichkeiten, die glaube ich ganz ordentlich waren, zu wenig gemacht. Extra-Schichten wären für mich wichtig gewesen, da ich nie eine Laufziege war. Nun ja, jetzt wo ich alte 39 Jahre bin, weiß ich das. Damals mit bummelig 20 habe ich darüber nicht wirklich nachgedacht. Mein Fehler…


85live: Du kannst Dich jetzt „rächen“. Wie war damals das Training und was zeichnete Manni und Rüdiger aus?

Matthias Heidrich: Offen gestanden, war das Training unter Rüdiger ziemlich eintönig. In der Rückschau, bei den heutigen Trainingsgewohnheiten, ist das natürlich ziemlich leicht zu sagen und vielleicht auch etwas unfair. Aber der Erfolg gab ihm Recht. Die Grundlage war da eher immer die Mannschaftszusammenstellung vor der Saison. Rüdiger holte immer wieder richtig gute Kicker nach Bergedorf, die in den Ligen, in denen wir gespielt haben, vielleicht sogar etwas unterfordert waren. Mir fallen da Namen wie Habimani Shabani, Markus Burmester oder nicht zuletzt Andreas Kunze ein. Andreas war damals schon über 30, aber immer noch der Schnellste und Beste, obwohl Manni ob dessen bescheidener Trainingsteilnahme-Statistik einmal bemerkte: „Der kriegt schon ne Grippe, wenn im Fernsehen ein Fenster auf ist“. Das beschreibt auch ganz gut die Stärke Mannis und Rüdigers: das Menschliche.  


85live: Deine drei herausragenden Spiele für den ASV Bergedorf 85?

Matthias Heidrich: Puh, schwierig. Die Aufstiegsspiele im ersten Jahr gegen Felde und die Duelle mit Wacker hatte ich schon erwähnt. Nie vergessen werde ich auch die Oberliga-Aufstiegsspiele später unter Rüdiger gegen Neumünster. Beim VfR hatten wir 0:1 verloren, wegen eines Fehlers von mir. Im Rückspiel an den Sander Tannen wollte ich es unbedingt wieder gut machen, brachte uns mit zwei Treffern zur 2:0-Führung auf Aufstiegskurs. Dann verschätzte sich unser Torwart Oliver Grabolle bei einer Flanke, Kopfball, 1:2. Wir waren komplett konsterniert, kassierten noch das 2:2 und Neumünster durfte jubeln. Kein Highlight im positiven Sinne, aber Niederlagen, auch extrem bittere, gehören eben dazu. Als letztes würde ich noch das DFB-Pokal-Spiel gegen den VfL Wolfsburg nennen. Über 6.000 Fans an den Sander Tannen, wir gingen durch ein Traumtor von Arne Klein, das zur Wahl zum „Tor des Monats“ stand, 1:0 in Führung. Dann machten die Bundesligaprofis ernst. Ich erinnere mich noch, wie Martin Petrov nach einer Ecke für uns den Ball am VfL-Strafraum bekam und gefühlte fünf Sekunden später zum 2:1 auf der anderen Seite traf. Unserem schnellsten Mann, Mike Kudling, hatte er dabei aussehen lassen wie einen Alte-Herren-Kicker. Ebenso wie Andrés D’Alessandro mich ein ums andere Mal. Es war das erste Pflichtspiel des Argentiniers im Wolfsburger Trikot. Der wollte natürlich mal zeigen, warum der Club Millionen für ihn ausgegeben hatte. So schnell wie der mit dem Ball an mir vorbei war, konnte ich manchmal gar nicht gucken. Am Ende hieß es 1:6 aus unserer Sicht und viele, die sich schon weiter wähnten, ich eingeschlossen, wussten nun, wie hoch die Trauben im Profifußball hängen.


85live: Dann ging es zu Cordi? Bernd Enge (?) hat Dich ins Marienthal gelockt?

Matthias Heidrich: Nein, Bernd Enge war damals nicht mehr im Boot, als ich zu Concordia ging. Der damalige Trainer Thomas Bornhöft rief mich an. In der Hamburger Auswahl hatte ich zudem schon mit einigen Talenten des SCC zusammen gekickt, die ihm wohl einen Tipp gegeben haben. Tragisch: Als ich letztlich im Marienthal aufschlug, war unser Trainer Kurt Hesse. Thomas Bornhöft kam in diesem Sommer bei einem Autounfall in Spanien ums Leben. Ich kannte ihn nur kurz, aber es war zu merken, dass er ein netter Mensch gewesen war. Alle, die schon länger bei Cordi mit ihm zusammen gearbeitet hatten, hatten an der Tragödie schwer zu knabbern. Auch deshalb war es ein besonderes Jahr bei Cordi.
Für mich persönlich war Concordia noch aus einem anderen Grund wichtig. Manager war damals Michael Schickel, Sportchef der „Hamburger Morgenpost“. Über ihn durfte ich ein Praktikum bei der „Mopo“ machen und ich merkte schnell, dass das meine Zukunft ist.


85live: Lange hast Du auch für Meiendorf gespielt und da einen Menschen kennengelernt, der heute die Geschicke des ASV Bergedorf 85 mit verantwortet…

Matthias Heidrich: Richtig, wir reden über Jörg Franke. Damals war er Manager beim MSV und ich erinnere mich gerne an die Zeit mit ihm zurück. Er ist vom selben Schlag wie Rüdiger oder auch Manni: einfach ein netter Mensch. Da habe ich auch zufällig eine Anekdote parat (-: Ich als Spieler und er der Manager haben im Sommer-Trainingslager in Schneverdingen mal ein Zimmer geteilt, weil ich später anreiste und eben „nur“ noch ein Plätzchen bei Jörg frei war. Das war an sich auch kein Problem, aber ich hätte nach dem Mannschaftsabend eher einen anderen Spieler gebraucht, der auch hätte aufstehen müssen, um pünktlich zum Training zu kommen. Jörg scherte das nach einer kurzen Nacht im Disco-Keller des Hotels, das nannte man früher Teambuilding (-:, zu Recht wenig. So schliefen wir beide den Schlaf der Gerechten und ich stolperte doch mit einiger Verspätung zur morgendlichen Einheit auf den Platz. Gott sei Dank war Trainer Frank Stolina am Abend zuvor auch dabei gewesen und schaute mal schnell weg, als ich kam. Insofern kann ich die heutigen „Elstern“ nur vor dem Zimmerpartner Jörg warnen, aber als Chefcoach darf er bestimmt alleine nächtigen…


85live: Schon zu Zeiten als Spieler hast Du für die Bergedorfer Zeitung „gejobbt“. Du bist dem Metier treu geblieben. Was machst Du jetzt beruflich?

Matthias Heidrich: Ich bin dem Journalismus tatsächlich treu geblieben. Anfang 2007 ging ich von der „bz“ zum NDR. Dort bin ich noch heute und darf auf NDR.de über Fußball, Handball oder auch Tennis schreiben. Beim Thema Leichtathletik oder Olympia sind meine Texte auch auf sportschau.de zu finden. In diesem Zuge durfte ich von den Olympischen Spielen in London 2012 und auch in Rio 2016 von vor Ort berichten. Das waren tolle Erlebnisse, an die ich bei meinen Anfängen bei der „Bergedorfer Zeitung“ nicht im Traum gedacht hätte. Trotzdem steht mein Name auch heute noch ab und zu in der „bz“. Für die Rubrik „Volkers Welt“, die immer sonnabends erscheint, schreibe ich gelegentlich. Dann aber selten über Sport.


85live: Komischerweise sind einige Elstern-Spieler Journalisten geworden. Hast Du noch Kontakt zu ehemaligen Elstern, vielleicht sogar zu Deinem Berufskollegen Robert Matiebel (u.a Bild Berlin)?

Matthias Heidrich: Mit Robert, der wie ich übrigens auch aus Glinde kommt, habe ich noch eine Saison bei den „Elstern“ zusammengespielt. Beruflich sind wir uns noch nicht wirklich über den Weg gelaufen. Kontakt habe ich ab und zu noch zu Gorden Wilkens, der das Tor der „Elstern“ gehütet hat. Der hat aber nichts mit Journalismus zu tun… (-:


85live: Wenn Du einen Kommentar für den NDR zum Videobeweis schreiben müsstest, würde der positiv oder negativ ausfallen?

Matthias Heidrich: Gute Idee, schlechte Umsetzung würde ich aktuell drüberschreiben. Bei den klaren Fehlentscheidungen sollte die Technik helfen, den Fußball „gerechter“ zu machen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass an der Entscheidung Tor oder nicht, mittlerweile nicht selten Millionen und manchmal sogar Arbeitsplätze hängen. Das kann man an sich verurteilen, ist aber die Realität. Dass sich der DFB mit transparenter Kommunikation schwer tut, könnte das Ganze aber wieder zu Fall bringen. Da sind Herr Grindel und Co. gefordert, nicht zuletzt bei der Baustelle Schiedsrichterwesen. Aktuell könnte man den Eindruck gewinnen, viele wollen weiter den Schiedsrichter auf dem Platz zur ärmsten Sau machen, weil alle sehen, dass eine Fehlentscheidung vorlag, nur eben er nicht ohne Videobeweis. Das kann es auch nicht sein. Die Abläufe müssen natürlich verbessert werden, aber was auch viele vergessen: Das ist eine Testphase. Unter dem Strich neigt der Mensch halt zum Motzen.


85live: Was viele gar nicht wissen, Deine Magisterarbeit beschäftigte sich mit dem ASV Bergedorf 85. Wie kam es dazu und wurde sie ganz gut bewertet?

Matthias Heidrich: Lange wusste ich nicht, worüber ich schreiben sollte. Ich bin dann eher zufällig, bei einem Besuch der 85-Geschäftsstelle, darauf gekommen. Da fielen mir unzählige Aktenordner mit alten Zeitungsausschnitten über die „Elstern“ ins Auge. Ein kleines 85-Archiv sozusagen. Wenn man dann noch weiß, dass dieser Club in den 1950er und -60er Jahren eine noch viel größere Bedeutung hatte, war der Weg zur Magisterarbeit mit dem Titel „Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballsports am Beispiel des ASV Bergedorf 85“ nicht mehr weit. Ich weiß es nicht mehr genau, aber sie wurde glaube ich mit 1,8 bewertet, was ungefähr einer 2 entspricht. Wenn man bedenkt, dass ich sie parallel zur EM 2008 geschrieben habe und zum ersten Spiel natürlich vor dem Fernseher saß, ganz okay… (-:


85live: Wenn wir uns richtig erinnern, war Deine Rückennummer die 13 (?). So wollen wir mit der 13. Frage das Interview schließen: Verfolgst Du noch etwas den Hamburger Fußball speziell auch den ASV Bergedorf 85? Hast Du einen Ratschlag für die Zukunft und kannst Du Deinen Spitznamen Heidi noch hören?

Matthias Heidrich: Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn mich jemand „Heidi“ nennt. Passiert heute aber ganz selten. Das war schon so ein Fußballding. Sobald ich aber einen alten Weggefährten treffe und er mich so nennt, kommen immer schöne Erinnerungen hoch. Zu Meiendorfer Zeiten hatten wir uns sogar mal Jacken mit den Spitznamen vorne drauf machen lassen und sind so losmarschiert. Wenn bei dir dann ein Frauenname vorne drauf steht, ist das erste Gesprächsthema schnell gefunden… (-:
Ich schaue schon ab und an, wie meine alten Clubs so spielen. Auf den Platz schaffe ich es aber eigentlich gar nicht. Mittlerweile kenne ich als 39-Jähriger (!) auch kaum noch jemanden. In Bergedorf wären das wohl eher die Menschen drum herum, wie eben Jörg oder Manni. Ich hoffe natürlich, dass die „Elstern“ den Aufstieg in dieser Saison schaffen.


85live: Vielen Dank für das Interview !!!


1 Kommentar:

  1. Danke für dieses tolle Interview. Matthias (Heidi), immer noch ein starker Typ!

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